Laura Szafranek


Portrait – Udo, 2017


16.11.2017

ich heiße Udo.
U wie Untergang,
D wie Dolomiten und
O wie Ochse








Schon viele Male sah ich, wie er sich dort aufhielt. An der wohl meist befahrenen Kreuzung dieser Stadt, vor dem Laden der alle paar Monate den Besitzer wechselt, weil der Standort nur zum vorbeifahren einlädt. Ich habe mich nie getraut mal näher heranzugehen, zu schauen, Fragen zu stellen. Beim letzten Mal tat er mir Leid, weil ich sah, dass er ein kleines Teelicht vor sich anmachte. Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus wirkte es, als würde er an diesem kalten Tag seine Hände um die wärmende Flamme legen. Heute hatte er besonders viel ausgestellt, mehr als sonst, und so lief ich auf ihn zu und schaute mir alles genau an, diesmal ganz genau und nicht nur aus der Ferne. Gegen die Wand lehnten eine handvoll Portraits, eingerahmt, alle mit Kreide gemalt. Bunte Flächen eingefasst von starken schwarzen Konturen. Menschliche Gesichter, aber auch Vogelköpfe, teils gemischt in einem Bild. Davor, auf dem Boden liegend, weitere Portraits, um die ringsum kleine Steine gelegt waren, damit der Wind sie nicht erfasste. Drumherum bunte Rahmen mit Kreide direkt auf den Boden gemalt. Noch weiter vorne kleine Installationen. Je länger man hinschaute, desto mehr erkannte man.

Mit bedacht arrangierte Steine, ein paar Fotos.

Glühbirnen, Teelichter, Kerzen.

Kleidungsstücke: Cordhosen, gestreifte Sweatshirts, ein mit Wachs bekleckerter Winterstiefel, eine mit bunten Blumen bedruckte Tischdecke.

Natur: Moos, Tannenzapfen, ein Ast mit orangefarbenen Vogelbeeren

Alles, was auf den ersten Blick wie eine willkürliche Ansammlung von Zeug  aussah, formte sich zu einem skurrilen Gesamtbild, einer Beschreibung seiner Persönlichkeit. Er stellte sich vor: „Ich heiße Udo. U wie Untergang, D wie Dolomiten und O wie Ochse. Was ist dein Name?“ „Laura“

Ich fragte ihn, ob ich ein paar Fotos machen dürfe. „Mit dem Handy?“, fragte er. „Ich habe eine Kamera dabei.“ „Okay, mach so viele Fotos wie du möchtest, aber bitte nicht von mir.“ Ich fing an zu fotografieren. Ein Mann lief vorbei und warf mir lachend zu: „Ist n geiler typ oder?“ Ich grinste und nickte.

„Warum malst du mit Kreide?“ Er habe auch mal Acryl ausprobiert, aber Kreide sei einfach günstiger und man komme länger damit aus. Er kam ins plaudern. Als er noch jung war sei er der Erfinder der ersten verwaschenen Schlaghose gewesen. Die Firma Sams habe mit seiner Idee Unmengen an Geld gemacht, aber er selbst habe davon nie etwas gesehen. Er sprach über den Krieg und wie er drei mal versucht hatte den Wehrdienst zu umgehen. Darüber, dass er die Waffe verweigerte und sich selbst bis heute treu geblieben ist und nie im Leben eine Waffe bei sich trug.

„Aber warum sitzt du genau hier an dieser Kreuzung, an der kein Mensch Zeit zum stehen bleiben und schauen hat? Gleich die Straße runter bist du doch schon mitten in der Stadt.“ Er mag diesen Ort, es gebe ein bisschen Natur und viel zu tun. Er sitze immer hier und räume die Ecken rund um die Kreuzung auf. „Noch vor einiger Zeit war hier alles voll mit Müll. Vor allem die Ecke beim Sparkassenparkhaus.“ Weil er dort aufräumte duldete man ihn, doch als er anfing die Fassade zu bemalen, durfte er sich dort nicht mehr aufhalten. Die Stadt sei was für die jungen Leute. Er fragte ob ich 5 Minuten warten könne, er würde kurz zu seiner Wohnung laufen um einen Zeitungsartikel zu holen und sich kurz aufzuwärmen, ich sagte „Kein Problem.“

Es war eisig kalt.  

Ich verstand jetzt warum er nicht runter in die Stadt lief, sein Gang war langsam und unsicher. Nach 5 Minuten kam er zurück mit zwei abgegriffenen, ausgeschnittenen Zeitungsartikeln über ihn und zwei Texten über eine Ausstellung im Loft, einer Anlaufstelle für Drogenkonsumierende. Ich könne die Zeitungsartikel mitnehmen, sagte er. Es waren seine einzigen Exemplare, also machte ich lieber ein Foto. Vor mir entdeckte ich auf dem Boden zwei Fotos. Ich sprach ihn darauf an und er erzählte mir es wäre sein Hund, den er 2015 zu Ruhe gelegt hat. Seitdem sei er alleine. Aus Höflichkeit siezte ich ihn, wenn ich mit ihm sprach. Und sofort erwiderte er mit:

„UDOOOO heiße ich, und wenn man es rückwärts sagt: O, DU!“

Nachdem er eine Weile gesprochen hatte, hielt er kurz inne und sagte ich hätte ihn inspiriert. Normalerweise spreche er nicht mit den Menschen die vorbeilaufen und ihn fragen was er denn hier mache. Er ignoriere sie einfach. „Normalerweise spreche ich auch nicht viel“, sagte ich.

„Wenn dir ein Bild gefällt, dann nimm es mit, ich möchte dir gerne eins schenken.“ Ich sagte ich würde bald gehen, meine Hände waren so kalt, dass sie brannten. Ich fragte ihn, wie er es freiwillig in dieser Kälte aushalte und er zählte auf wie viele Pullover er anhat: 2 Sweatshirts, einige T-shirts und eine Winterjacke, die aber nur neben ihm auf der Treppenstufe lag, weil er mit ihr nicht arbeiten kann. Er hob seinen roten Pullover hoch, darunter war ein gelbes Shirt voller bunter Farbflecken. Ich griff zu meiner Kamera und Udo hatte gar kein Problem mehr damit, der Mittelpunkt des Bildes zu sein.

„Ist das denn alles erlaubt was du hier machst?“, fragte ich. Er machte sich über mich lustig. „Denk doch nicht immer darüber nach ob es erlaubt ist. Mach es einfach!“ Die Leute, vor dessen Kneipe er malt, kenne er. Drin war er jedoch noch nie, denn 3,80 Euro für ein Bier sei ihm zu teuer. In diesem Moment fuhr ein Polizeiauto vorbei und die Polizisten darin winkten. Udo winkte zurück. Zum Abschied wollte ich ihm die Hand geben, aber er schüttelte mit dem Kopf und verweigerte. Er wollte mir lieber ein high five geben.


Zu Hause angekommen versuchte ich meine roten Hände aufzutauen während mein Kopf voll mit warmen Farben war.  
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